Steigende Zahl an Diagnosen
Für die vergangenen 20 Jahre wird in vielen Teilen der Welt ein deutlicher Anstieg der Zahl an Autismus-Diagnosen beobachtet. Dieser Anstieg bedeutet sehr wahrscheinlich keine echte Zunahme der Zahl von Menschen mit Autismus. Er ist vielmehr wahrscheinlich auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Einige anerkannte Faktoren, die zu den steigenden Zahlen führen, sind die folgenden:
- Die schrittweise Ausweitung bzw. Veränderung der diagnostischen Kriterien trägt zu den steigenden Zahlen bei. Die Einführung von Diagnosen wie dem Asperger-Syndrom und der "Autistischen Störung, nicht näher bezeichnet" oder "atypischer Autismus" führte zu einer Erweiterung derjenigen Gruppe, die statistisch unter die Kategorie "Autismus" gezählt wurde.
- Auch hat eine zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit und Bekanntheit der Diagnose im klinischen Bereich zu häufigeren Diagnosestellungen beigetragen. Ein besonderer Anstieg ist bei Erwachsenen und Frauen sowie im hochfunktionalen Bereich zu beobachten, gleichzeitig ein Rückgang im Bereich der Diagnosen Autismus mit geistiger Behinderung.
- Zugleich haben sich die Erfassungs- und Auswertungsmethoden in einer Weise verändert, die weniger Fälle unentdeckt lässt. Flächendeckende Screenings, nationale Register und repräsentative Befragungen der Bevölkerung wurden durchgeführt. So können auch Menschen mit Autismus aus bisher unterrepräsentierten Gruppen wie Menschen in entlegeneren oder sozial unterprivilegierten Regionen oder solche mit niedrigerem sozio-ökonomischem Status, erfasst werden.
- Zudem können strukturelle Bedingungen der Diagnostik und Versorgung in verschiedenen nationalen Gesundheitssystemen zu höheren Inzidenzen beitragen. Wenn innerhalb eines Schulsystems Hilfen und Unterstützung nur in Verbindung mit bestimmten Diagnosen gewährt werden, neigen Diagnostiker*innen dazu, diese Diagnosen häufiger zu vergeben, um den Betroffenen diese Hilfe zukommen zu lassen, auch wenn nicht alle Diagnose-Kriterien erfüllt sind.
Für Deutschland gibt es aktuell keine flächendeckenden Zahlen, jedoch scheinen hier die Prävalenzzahlen insgesamt niedriger und der Anstieg nicht so steil wie in anderen Ländern. Dennoch ist auch in Deutschland die Zahl der Verdachtsfälle angestiegen und der Bedarf an (differenzial-)diagnostischen Abklärungen sowie individuellen Behandlungen in spezialisierten Einrichtungen hat sich erhöht.
Spezialisierte Einrichtungen in Deutschland berichten allerdings, dass bei bis zu 80% der vorgestellten Menschen mit Verdacht auf Vorliegen von Autismus dieser Verdacht nicht bestätigt wird.